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Wissenschafts-Journalismus – fraglos ein Wunder

Das Wesen des Journalismus scheint die Zuspitzung zu sein und das Wesen der Wissenschaft die Differenzierung.
Wundersamer weise liest sich „Wissenschaftsjournalismus“ meist nicht als zugespitzte Differenzierung, sondern als flache Generalisierung. Gerade diese passt aber nicht zur Wissenschaft, die neben der Differenzierung noch andere Qualitäten hat, die der Journalismus nicht unbedingt zu lieben scheint.

Da wäre zum Einen das Wissen um den Zusammenhang zwischen Frage und Antwort:
Einer wissenschaftlich arbeitenden Person ist bewusst, dass ihre Frage bereits die Antwort beeinflusst und diese daher sehr gut überlegt sein muss. Was soll auch ein wohlmeinender Mensch nach der Farbe seines Autos antworten, wenn er nur die Möglichkeit zwischen schwarz und weiß angeboten bekommt aber immer nur dunkel blaue Autos gefahren ist? Ganz abgesehen davon, dass er seit drei Jahren gar keines besitzt? Oder als Hermaphrodit („intersexuell“) wenn er nur weiblich oder männlich als Geschlecht ankreuzen darf (und muss)?
Besonders verwundern dürfen dabei Studien, bei denen die Frage nicht so recht zum Thema passt. So berichtete neulich ein „Wissenschaftsjournalist“ davon, dass eine Studie gezeigt hätte, dass Männer häufiger Frauen sexuell belästigen, als Frauen Männer. Neben der unzulässigen Generalisierung und absolut undifferenzierten Aussage erstaunt aber doch, dass das biologische Geschlecht bei dieser Fragestellung eine größere Rolle zu spielen scheint, als die sexuelle Orientierung. Ein einziges großes Wunder, dass anscheinend schwule Männer häufiger Frauen sexuell belästigen als …? Oder? Tatsächlich wurde die sexuelle Orientierung an keiner Stelle erwähnt (und in der Studie wohl auch gar nicht abgefragt). So bleibt völlig im Dunkeln wie viele Antworten von „lesbischen Frauen“ oder gar „heterosexuellen Männern“ berücksichtigt wurden, wer konkret was ausgesagt hat …

Zum Anderen sei an dieser Stelle nur noch ein weiterer Punkt zum Kopfschütteln erwähnt:
Das Wissen um Forschungsmethoden. Ist es plausibel, wenn eine „Wissenschaftsjournalistin“ Bio-Tee als generell schlechter darstellt als Tee aus der Apotheke? Was ist denn besser: generelle Vermeidung vorher und Kontrolle dieser, oder alleinige Produkt-Kontrolle zum Schluss?
Ein Mensch aus der Forschung weiß, dass eine „Rückstands-Kontrolle“ nicht zeigen kann, was alles in einem Produkt ist, sondern nur Informationen dazu liefern kann, worauf getestet d.h. wonach gefragt wurde. Die Aussage über eine „Rückstands-Kontrolle“ ist ohne die detaillierte Antwort auf die zwingende Frage „Worauf?“ ein reines Werbe-Wunder. So werden Tees weder auf Rückstände aller Insekten- und Unkraut-Vernichtungsmittel, noch aller Kunstdünger getestet. Oftmals stehen für die Apotheke sogar allein die zur Zeit festgelegten „Wirkstoffe“ eines Tees im Vordergrund. Das Vorhandensein weiterer evtl. nützlicher oder gar schädlicher Stoffe wird vernachlässigt …

Eigentlich müsste „Wissenschaftsjournalismus“ die perfekte Ergänzung sein, denn Wissenschaft und Journalismus teilen eine wichtige Grundlage: möglichst genau zu Wissen, wie, in welchem Zusammenhang, wonach, mit welchen möglichen Konsequenzen, welche differenzierten Fragen zu stellen sind.

Doch so bleibt bei der Lektüre diverser Berichte über angebliche Studienergebnisse nur die Freude am großen wundern…

[Update vom 19.10.2014: Ähnliche Verwunderung wird jetzt auch in einem Kommentar in der Süddeutschen Zeitung geäußert – leider macht der Journalist den Vorwurf der Wissenschaft statt der Redaktion … ;-) ]